Flucht und Migration unter informationswissenschaftlichen Gesichtspunkten

Unsere Sonderausgabe im “International Journal of Information, Diversity, and Inclusion”

Als wir im März 2019 auf der iConference in Washington D.C. zusammen mit Prof. Dr. Nadia Caidi und Prof. Syed Ishtiaque Ahmed einen Workshop über informationswissenschaftliche Aspekte in der Flucht- und Migrationsforschung durchführten, waren wir berührt von dem Zulauf und Interesse an diesem Thema in der Informationswissenschaft aber auch von den vielen engagierten Projekten weltweit, die sich mit Flucht und Migration auseinandersetzen. 

Uns Organisator*innen wurde schnell klar, dass wir die vorgestellten Projekte und Forschungsergebnisse in einem Themenheft bündeln möchten, um die Wichtigkeit dieses Themas weiter zu unterstreichen und der wissenschaftlichen Forschungsgemeinde zu unterbreiten. Wir sind sehr froh ein Journal gefunden zu haben, das auf interdisziplinäre Forschung rund um die Themen Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Information spezialisiert ist und auch mit seiner Open Access Policy den kostenloses Zugang zu den Artikeln ermöglicht. Im Juli dieses Jahres ist nun unser gemeinsames Themenheft “Forced Migration: Making Sense of a Complex Ecosystem” im International Journal of Diversion, Information, and Inclusion publiziert worden. 

Wie auch von uns um Editorial geschildert, liegen nun insgesamt fünf Forschungsartikel sowie drei kleinere Artikel vor, die Erfahrungsberichte zu ausgewählten Projekten darlegen. Die vorgestellte Forschung beschäftigt sich mit Zwangsmigration und Flucht in verschiedenen Ländern und beleuchtet die Auswirkungen auf den Menschen sowie ihre Erfahrungen und das menschliche Miteinander, immer unter besondere Berücksichtigung von Information. Wir wollen hier die drei Erfahrungsberichte näher vorstellen: 

Der Artikel von Juliane Köhler “Seeking Employment in a Non-Native Language” präsentiert eine Studie aus Deutschland, in der das Online-Verhalten von Geflüchteten bei der Suche nach Informationen im Internet analysiert wird. Die Autorin hat dabei auf Daten zurückgegriffen, die wir in einer unserer Studie erhoben haben [1]. Die Untersuchung identifiziert Strategien, die online verwendet werden, um Informationen zu finden, sowie Hindernisse, die einer erfolgreichen Suche im Wege stehen. Während eines Laborexperiments lösten die Teilnehmer*innen Online-Aufgaben, die aufgezeichnet, transkribiert und kodiert wurden, um die zugrunde liegenden Strategien zu bestimmen. Eine wichtige Erkenntnis aus der Studie ist, dass Teilnehmer*innen, mehr Aufgaben lösen können, wenn sie Begriffe aus der Aufgabenstellung kopieren, anstatt sie selbst zu formulieren. Diese Strategie stellt sich als sehr erfolgreich heraus, um die Sprachbarriere zu umgehen.  

Während sich Köhlers Studie auf Geflüchtete in Deutschland bezieht, thematisieren Gomez u.a. wie soziale Organisationen mithilfe des Spiels “Mind the Five Card Game” den Umgang mit sensiblen Daten von Migranten ohne Papiere und anderen gefährdeten Gruppen reflektieren können. Personen ohne Papiere benötigen einen besonderen Schutz ihrer Privatsphäre, insbesondere zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ankommen und Hilfe von humanitären Organisationen, Kirchen und anderen gemeinnützigen Einrichtungen suchen. 

Karten vom Serious Game “Mind the Five”, das wir während des Workshops in Washington ausprobieren konnten.

Karten vom Serious Game “Mind the Five”, das wir während des Workshops in Washington ausprobieren konnten.

Humanitäre Organisationen, Bibliotheken, Schulen, Gesundheitszentren und andere Institutionen, die mit schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen arbeiten, können mithilfe des von den Autoren entwickelten Spiels auf unterhaltsame und kreative Weise Datenschutzprobleme in ihrer eigenen Organisation identifizieren. Das Serious Game „Mind the Five“ ermöglicht es den Teilnehmer*innen, das Bewusstsein für die Persönlichkeitsrechte von Migranten und Geflüchteten zu schärfen und eine Diskussion über die Informationspraktiken innerhalb der Organisation zu führen, um potenzielle Risiken in Bezug auf den Datenschutz zu identifizieren.

Der Erfahrungsbericht “Hackathons as Instruments for Settlement Sector Innovation” von Eliana Trinaistic präsentiert die Ergebnisse und Erkenntnisse von zwei Community-Hackathons in Kanada. Sie geht der Frage nach, wie solche Formate unter Einbeziehung öffentlichen Engagements Innovationen für die Arbeit in gemeinnützigen Organisationen auslösen können. Einer der beiden untersuchten Hackathons arbeitete mit Datensätzen aus dem Bereich Migration, während sich der andere auf die Sprachpolitik und die Auswirkungen des Sprachzugangs und der Sprachbarrieren konzentrierte. Die Autorin kann zeigen, dass Hackathons ein geeignetes Mittel sind, um Innovation und bürgerschaftliches Engagement für gemeinnützige Organisationen zu fördern.

Auch die anderen Artikel des Sonderheftes thematisieren die theoretischen und ideologischen Spannungen von Flucht und Migration über verschiedene geopolitischen Kontexte hinweg. Das Themenheft bietet eine breite Perspektive und liefert verschiedene Ansätze, wie Forschung und Wissenschaft im Bereich der erzwungenen Migration einen Mehrwert für die Praxis bieten kann. Durch das von uns mit herausgegebene Sonderheft möchten wir auch die wichtige Rolle der Informationswissenschaft in diesem Forschungsbereich hervorheben.

[1] Stiller J., Trkulja V. (2018) Assessing Digital Skills of Refugee Migrants During Job Orientation in Germany. In: Chowdhury G., McLeod J., Gillet V., Willett P. (eds) Transforming Digital Worlds. iConference 2018. Lecture Notes in Computer Science, vol 10766. Springer, Cham. http://doi-org-443.webvpn.fjmu.edu.cn/10.1007/978-3-319-78105-1_58

Juliane Stiller